Rechtsverbindlichen Rüstungsexportregelungen vs. Staatsräson

Rechtsverbindlichen Rüstungsexportregelungen vs. Staatsräson: Eine Bewertung der aktuellen deutsche Rüstungsexporte nach Israel

Max Mutschler, Markus Bayer

Als Reaktion auf den Angriff auf Israel am 07. Oktober 2023, bei dem die Hamas über 370 israelische Soldat:innen und über 690 Zivilist:innen getötet und 240 Menschen als Geiseln verschleppt hat, bestätigte Bundeskanzler Scholz die seit 2008 existierende Linie die Sicherheit Israels sei deutsche Staatsräson. Seit Oktober hat die Bundesregierung eine Vielzahl an Rüstungsexporten nach Israel genehmigt, wodurch sich das finanzielle Volumen der deutschen Rüstungsexporte nach Israel 2023 im Vergleich zum Vorjahr verzehnfacht hat.

Laut Medienberichten sollen unter anderem tragbare Panzerabwehrwaffen und Kleinwaffenmunition bewilligt worden sein. Eine Auswertung des Recherche-Teams Forensis legt nahe, dass es sich dabei unter anderem um Panzerfäuste vom Typ Matador handelt und dass auch Motoren für die israelischen Merkava-4 Kampfpanzer darunter sein könnten. 2024 gab die Bundesregierung ihre Absicht bekannt, auch Panzermunition aus Bundeswehrbeständen zu liefern.

Auch in der Vergangenheit wurden immer wieder deutsche Rüstungsexporte im dreistelligen Millionenbereich für Israel bewilligt. Meist handelte es sich dann um maritime Waffensysteme; zum Beispiel Fregatten und insbesondere U-Boote sowie dazugehörige Ersatzteile. Diese U-Boote spielen eine wichtige Rolle für die nukleare Zweitschlagsfähigkeit Israels, da sie auch mit Nuklearsprengköpfen bestückte Raketen von See aus abfeuern können.[1] Sie spielen damit eine wichtige Rolle für die Abschreckung des Irans.

Dass Israel die Hamas militärisch bekämpft, ist angesichts des Angriffs vom 07. Oktober nachvollziehbar und gerechtfertigt. Noch immer befinden sich israelische Staatsbürger in den Händen der Hamas und weiterhin wird Israel aus dem Gazastreifen mit Raketen beschossen. Und natürlich sollte die Bundesregierung Israel dabei unterstützen sich gegen Angriffe des Iran wie in der Nacht zum 15.4. zu verteidigen. In Bezug auf das militärische Vorgehen Israels im Gaza-Streifen können aber die Hinweise auf Israels Verstöße gegen das humanitären Völkerrechts nicht außer Acht gelassen werden. Dieses verpflichtet insbesondere zur Unterscheidung zwischen gegnerischen Kombattant:innen und Zivilist:innen sowie die Wahrung der Verhältnismäßigkeit der militärischen Mittel. Zivilist:innenen verlieren ihren Schutz-Status auch nicht, wenn unter ihnen feindliche Kämpfer sind. Auch die Tatsache, dass sich die Hamas nicht an die Regeln des humanitären Völkerrechts hält (etwa durch Missbrauch von Zivilist:innenen als „Schutzschild“), entbindet Israel nicht davon diese Regeln selbst zu achten.

Diese völkerrechtlichen Pflichten spiegeln sich auch in den für Deutschland rechtsverbindlichen Rüstungsexportregelungen wider. Sowohl nach dem internationalen Waffenhandelsvertrag, als auch dem Gemeinsamen Standpunkt der EU zu Rüstungsexporten, sind Rüstungslieferungen zu untersagen, wenn ein eindeutiges Risiko besteht, dass diese Rüstungsgüter zu Kriegsverbrechen verwendet werden könnten. In diesem Fall ist der Export nach den existierenden Rüstungsexportregelungen rein rechtlich zwingend zu untersagen.

Angesichts dessen, was über die Kriegführung des israelischen Militärs im Gazastreifen bekannt ist, besteht ein solches Risiko. Nach Berechnungen des Hilfswerks Oxfam weist der Krieg in Gaza mit 250 im Schnitt toten Palästinensern pro Tag die höchste Todesrate aller Gewaltkonflikte im 21. Jahrhundert auf. Mittlerweile wurden bei den Kämpfen in Gaza über 33.000 Menschen getötet (April 2024), mehrheitlich Frauen und Kinder. Diese Zahlen sind angesichts ihrer Quelle – dem Hamas-geleiteten Gesundheitsministeriums in Gaza – mit Vorsicht zu betrachten. Einem Bericht der Times of Israel vom Dezember 2023 zufolge hält jedoch sogar das israelische Militär die Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza für ziemlich genau.

Entscheidender als die reinen Opferzahlen ist jedoch die Frage, inwiefern diese in Verbindung mit Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht stehen. Es existieren zahlreiche Berichte unabhängiger zivilgesellschaftlicher Organisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch, die deutliche Hinweise darauf sehen, dass das israelische Militär im Gazastreifen Kriegsverbrechen begeht; beispielsweise durch den Einsatz ungelenkter Bomben mit großer Sprengkraft in dicht besiedelten Gebieten, Angriffe auf Wohngebäude ohne Warnung und ohne militärische Ziele in der Nähe, oder den Beschuss von Krankenhäusern. Viele Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen und es kommt immer wieder auch zu nicht belegten Anschuldigungen gegen die israelischen Streitkräfte. Allerdings stützen Aussagen wie diejenige des israelischen Verteidigungsministers, der zu Beginn der israelischen Offensive in Gaza verkündete, jegliche Zurückhaltung fallen zu lassen, das Bild einer Kriegführung, bei dem die Lieferung von Rüstungsgütern, die im Gaza-Krieg eingesetzt werden könnten, mit einem eindeutigen Risiko einhergeht, dass diese Güter bei Kriegsverbrechen zum Einsatz zu kommen oder dazu beitragen diese zu ermöglichen. Ob es sich tatsächlich um Kriegsverbrechen handelt, werden letztendlich Gerichte entscheiden müssen. Aber dass dafür ein eindeutiges Risiko besteht, ist angesichts der zahlreichen warnenden Berichte nicht von der Hand zu weisen. 

Die Bundesregierung sollte deshalb den Export von Rüstungsgütern, die in Gaza zum Einsatz kommen können, wie z.B. Klein- und Leichtwaffen- oder gar Panzermunition, dringend untersagen. Andernfalls läuft sie Gefahr, nicht nur zum Leid von Zivilist:innen in Gaza, sondern auch zur weiteren Aushöhlung des humanitären Völkerrechts und der Normen der Rüstungsexportkontrolle beizutragen. Eine Untersagung der Lieferung von Rüstungsgütern, die in Gaza eingesetzt werden könnten und auch eine Aufhebung der seit dem 7. Oktober erteilten Ausfuhrgenehmigungen für Kriegswaffen nach Israel, wie sie jüngst die Klage des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) vor dem Verwaltungsgericht Berlin fordert, ist nicht gleichbedeutend mit einem kompletten Waffenembargo gegen Israel. So mag der Export von U-Booten und deren Ersatzteile andere Fragen (z.B. um damit zusammenhängende Korruptionsvorwürfe) aufwerfen, wäre hinsichtlich des Krieges in Gaza aber eher unproblematisch und könnte angesichts der prekären sicherheitspolitischen Lage Israels in der Region, insbesondere angesichts der Bedrohung des Landes aus dem Iran, sogar geboten sein.

Deutschland sollte auch weiterhin für Israels Sicherheit einstehen – auch mit Rüstungsexporten. Das gemahnt die deutsche Geschichte – aber sie gemahnt es nicht bedingungslos. Die geltenden Regeln des internationalen, europäischen und nationalen Rechts müssen die Grenze für Rüstungsexporte sein. Andernfalls wäre das Diktum von der Staatsräson tatsächlich so zu verstehen, wie es der italienische Fürstenratgeber des 15./16. Jahrhunderts, Niccolò Machiavelli meinte, der diesen Begriff geprägt hat; nämlich so, dass die Staatsräson sämtliche ihr entgegenstehenden Rechtsgüter verdrängt. Wer wie die Bundesregierung bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Stärke des Rechts und die internationale regelbasierte Ordnung bemüht, kann sich solch eine Politik nicht erlauben.

 


[1] Offiziell hat Israel den Besitz von Nuklearwaffen und entsprechender Trägersysteme nie bestätigt noch dementiert. Nach Angaben der Nuclear Threat Initiative liegen jedoch Berichte von ehemaligen Mitarbeitern des U.S. State Department bzw. des Pentagons vor, dass Israel im Jahr 2000 im Indischen Ozean entsprechende Test mit nuklear bestückbaren Marschflugkörpern von Bord von Ubooten der Dolphin Klasse durchführte.